Zu Beschränkung oder Wegfall des Versorgungsausgleichs nach neuem Recht

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Eine Beschränkung des Versorgungsausgleichs gem. § 27 VersAusglG findet nur statt, wenn die schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs zu einem der Gerechtigkeit in nicht erträglicher Weise widersprechenden Ergebnis führen würde.

OLG Hamburg, Beschluss vom 12. 4. 2010 – 7 UF 154/04

Die Eheleute haben 1977 die Ehe geschlossen, aus der zwei 1989 und 1991 geborene Kinder hervorgegangen sind. Die Ehefrau begann 1978 ein Studium, der Ehemann 1979. Die Ag. arbeitete ab 1981 vollschichtig als Beamtin. Der Ehemann nahm 1986 eine angestellte Erwerbstätigkeit auf. Nach der Geburt der Kinder war sie von 1989 bis 1998 beurlaubt. In dieser Zeit lebte die Familie im Wesentlichen vom Erwerbseinkommen des Mannes. 1996 machte sich der Ehemann in der Computerbranche selbstständig. Anfang 1999 nahm die Ehefrau ihre Vollzeittätigkeit wieder auf, die sie ab September 2001 auf eine ¾-Teilzeittätigkeit reduzierte.

Die Ehefrau hat geltend gemacht, es sei grob unbillig, die Zeit ab Anfang 1999 in den Versorgungsausgleich einzubeziehen. Sie meint, ab diesem Zeitpunkt habe es der Ehemann unterlassen, für seine Altersversorgung zu sorgen. Zudem habe 90% der Hausarbeit und Kinderbetreuung bei ihr gelegen, während sich der Ast. immer mehr seiner Freizeit gewidmet habe. Der Ast. habe seine Pflicht zur Sicherung des Familienunterhalts nachhaltig verletzt.

Das OLG hat den Versorgungsausgleich gem. § 1 VersAusglG durch Halbteilung der von den geschiedenen Ehegatten in der gesamten Ehezeit erworbenen Anteile von ausgleichsreifen Anrechten ungekürzt nach neuem Recht durchgeführt. § 27 VersAusglG erlaubt eine Korrektur, wenn die schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs zu einem der Gerechtigkeit in nicht erträglicher Weise widersprechenden Ergebnis führen würde. Die vom Gesetzgeber neu formulierte Generalklausel lässt es zu, auf die bisherige Rechtsprechung zu den ausdrücklich geregelten Härtefällen und zu den darüber hinaus entwickelten Fallgruppen zurückzugreifen; eine Änderung des materiellen Rechts ist mit der sprachlichen Neufassung der Norm nicht verbunden.

Die vorliegende Fallkonstellation ähnelt zwar der Fallgruppe der so genannten Studentenehe. In jenen Fällen hat der ausgleichspflichtige Ehepartner durch seine Erwerbstätigkeit den wesentlichen Teil des Familienunterhalts bestritten oder sich in sonstiger Weise überobligatorisch in der Ehe eingesetzt und dadurch dem anderen das Studium ermöglicht, kann aber in der Regel an dem wirtschaftlichen Ertrag des Studiums infolge der Scheidung nicht mehr teilhaben und müsste dem ohnehin begünstigten früheren Partner durch den Versorgungsausgleich ein weiteres Vermögensopfer erbringen.

Der Verlauf der Ehe der hier Beteiligten unterscheidet sich jedoch in mehrfacher Hinsicht von den die vorerwähnte Fallgruppe kennzeichnenden Umständen. Zum einen dauerte ihre Ehe nach dem Abschluss des Studiums noch weitere 17 Jahre bis zur Rechtshängigkeit der Scheidung. Zum anderen nahm der Ehemann nach dem Studium eine angestellte Erwerbstätigkeit auf, die er mit Unterbrechungen neun Jahre lang ausübte, bevor er nach einem Jahr der Arbeitslosigkeit selbstständig tätig wurde. Die ehelichen Lebensverhältnisse waren also nicht nur durch die Finanzierung des Studiums durch die Ehefrau geprägt. Während der Beurlaubung der Ehefrau in den Jahren von 1989 bis 1998 hat die Familie im Wesentlichen von seinem Erwerbseinkommen gelebt hat. Unter diesen Umständen ist eine grobe Unbilligkeit des Versorgungsausgleichs nicht – auch nicht teilweise – herzuleiten, weshalb eine Beschränkung des Versorgungsausgleichs nicht begründet ist.

Auch die von der Ehefrau erhobenen Vorwürfe, der Mann habe ihr seit Anfang 1999 90% der Hausarbeit und Kinderbetreuung überlassen, obwohl sie mit ihrer vollschichtigen Erwerbstätigkeit für den Unterhalt der Familie gesorgt habe, als die Erträge aus seiner selbstständigen Tätigkeit zurückgegangen seien und er nicht für seine Altersversorgung gesorgt habe, begründen eine grobe Unbilligkeit i.S. des § 27 VersAusglG nicht. Denn es konnte nicht festgestellt werden, dass der Mann in der fraglichen Zeit seine Pflichten aus der ehelichen Lebensgemeinschaft so schwerwiegend verletzt hat, dass der Versorgungsausgleich deshalb zu beschränken ist. Unstreitig hat er bis zur Trennung neben seiner selbstständigen Tätigkeit gewisse häusliche Pflichten und Teile der Kinderbetreuung übernommen. Im Übrigen ist es nicht ungewöhnlich, dass in einer Ehe zwischen einem Ehepartner mit einer sicheren Altersversorgung aus einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst und einem selbstständig tätigen Ehepartner der Letztere nur eine geringe oder gar keine Altersversorgung aufbaut. Zudem war eine bestehende Lebensversicherungen und das gemeinsame Hausgrundstück als Teil der Altersversorgung vorhanden.

Schließlich ist dem Mann auch keine gröbliche und längere Zeit andauernde Verletzung seiner Unterhaltspflicht vorzuwerfen. Schon der vorausgesetzte Zeitfaktor ist nicht gegeben; denn in Betracht käme nur die Zeit von 2001 bis zur Zustellung des Scheidungsantrags. Die Begrenzung auf diesen Zeitraum ist darin begründet, dass der Versorgungsausgleich nur Versorgungsanrechte aus der Ehezeit erfasst und nur insoweit eine Korrektur geboten ist. Selbst wenn dem Ast. aber vorgeworfen werden könnte, dass er sich ab 2002 nicht hinreichend um eine Erwerbstätigkeit bemüht hätte, die ihn – anders als seine selbstständige Tätigkeit – in die Lage versetzt hätte, Kindesunterhalt zu zahlen, müsste ihm für die Suche nach einem Arbeitsplatz mindestens eine Zeitspanne von drei bis sechs Monaten zugebilligt werden. Für eine Unterhaltspflichtverletzung über längere Zeit bliebe dann kein Raum.

Schließlich führt auch eine Gesamtbetrachtung aller Umstände dieses Falls nicht zu einer Beschränkung des Versorgungsausgleichs, da dessen uneingeschränkte Durchführung dem Grundgedanken des Versorgungsausgleichs und der Gerechtigkeit nicht in unerträglicher Weise widerspricht. Grundgedanke des Versorgungsausgleichs ist zwar in erster Linie, die soziale Lage des geschiedenen Ehegatten zu verbessern, der auf Grund in der Ehe übernommener anderer Aufgaben Einschränkungen in der Erwerbstätigkeit hingenommen hat und dem dadurch ehebedingte Nachteile in seiner Versorgung entstanden sind. Nicht zuletzt liegt dem Versorgungsausgleich aber er Gedanke zu Grunde, dass jede Ehe – selbst bei beiderseitiger voller Erwerbstätigkeit – im Keim (auch) eine Versorgungsgemeinschaft ist; trennt sich das Versorgungsschicksal der Ehegatten durch die Ehescheidung, so bewirkt der Versorgungsausgleich, dass die ehezeitlich erworbenen Anrechte gemäß dem ursprünglichen gemeinsamen Zweck der beiderseitigen Alterssicherung gleichmäßig aufgeteilt werden. Durch den Bestand der bis zur Trennung der Parteien 2001 24 Jahre dauernden ehelichen Gemeinschaft ist eine fortwirkende Versorgungsgemeinschaft begründet worden, die zur Folge hat, dass die in der Ehezeit vorwiegend von der Frau erworbenen Versorgungsanrechte gemäß dem ursprünglichen gemeinsamen Zweck der beiderseitigen Alterssicherung hälftig geteilt werden müssen.